2011-02-21: Berlin taz
von Jens Müller:
Keine Experimente, so lautet bekanntlich die oberste Maxime des Adenauer-Fernsehens respektive ZDF. Grundsätzlich ist das gar nicht gut, manchmal aber sogar sehr gut. Wenn nämlich einmal ein ZDF-Film so richtig gut gelingt, dass ihn alle – einschließlich der Jury des Adolf Grimme Preises – belobhudeln, und das ZDF daraufhin den Verantwortlichen sagt, sie mögen doch bitte dasselbe einfach nochmal machen. Nicht genau dasselbe natürlich, aber eben fast dasselbe, keine Experimente.Der im vergangenen Jahr so belobhudelte Film hieß "Mörder auf Amrum". Das Drehbuch hatte Holger Karsten Schmidt geschrieben; Regisseur war Markus Imboden; die Hauptrolle spielte Hinnerk Schönemann, die schönste Nebenrolle Thomas Thieme. Wie nun also dieses Quartett nicht genau dasselbe, aber eben fast dasselbe nochmal gemacht hat, ist Montagabend in "Mörderisches Wespennest" zu bestaunen. Fast dasselbe bedeutet nun zum Beispiel, dass die Handlung nicht etwa wieder auf Amrum spielt, sondern in dem niedersächsischen Kaff Aschberg. Wichtig ist nur, irgendwo in der norddeutschen Einöde, im Land der "Karniggels" muss es sein.
Thomas Thieme, "Der Mann aus der Pfalz", gerade noch auf der Berlinale als "blutsatt durchtränkter" Nazi-Dichter Will Vesper zu sehen, gibt, wie in "Mörder auf Amrum", den wenig hilfreichen Dorfbullen, der diesmal Mühlfellner heißt, wie der Oberbösewicht. Den spielt Uwe Bohm, mit irrem, bei Dennis Hopper abgegucktem Lachen. Und mit Sturmgewehr. Unseren Helden – der wieder großartige Hinnerk Schönemann verkörpert anders als in "Amrum" keinen Polizisten, sondern, fast dasselbe, einen Privatdetektiv, Finn Zehender – kann das nicht wirklich schrecken, auch er hat seine Vorbilder: Er probt regelmäßig vorm Spiegel stehend den Taxi-Driver-steht-vorm-Spiegel-Monolog ("Are you talking to me?"). Geballert wird dann ergo nicht wenig, der Film ist – auch – ein Western.
Der große Shootout kommt allerdings schon beinahe eine halbe Stunde vor Schluss, das finale Duell wird ein Memory-Spiel sein. (Der Film ist ein Western in der norddeutschen Tiefebene.) Und Finn Zehender hat entgegen seinem Wunschdenken sehr viel mehr mit Peter Falk gemein als mit Robert de Niro. Seine längst ausgemachten Gegenspieler wiegt er in bester Inspektor-Columbo-Manier erstmal in trügerischer Sicherheit: "Ich tappe noch völlig im Dunkeln. Aber das ist bei mir meist so."
Von wegen. Der Provinz-Columbo wird am Ende einen Mord aufgeklärt und außerdem ein ganzes Nest korrupter Spezl (die in Niedersachsen so natürlich niemand nennen würde) ausgehoben haben. Nicht ganz allein, sondern mit der tatkräftigen Unterstützung zweier junger Frauen: Anna Wippermann (Daniela Schulz) ist Polizistin seit einer Woche. Die andere (Katja Danowski) stellt sich vor als "Agnes Sonntag, leitende Staatsanwältin". Sie wird bald ihr Jura-Examen machen.
Aber wie war Finn Zehenders Auftraggeberin (Anna Schudt) eigentlich auf ihn gekommen? "War das die Anzeige im Telefonbuch oder war es der gelungene Internet-Auftritt?" / "Sie war'n der billigste." Wie charmant, da kann sie ihm jetzt wenigstens sagen, "als was ich mich da ausgeben soll, wenn ich da rumschnüffel und mich jemand fragt, was ich da verloren hab'? Als entfernter Verwandter vielleicht?" / "Oh nein, nicht ,entfernter Verwandter'. Nicht dieser Ausdruck – meine Schwester hat grad 'ne Abtreibung hinter sich."
So schöne schlechte Witze könnte das ZDF durchaus häufiger zur Primetime senden. Mindestens einmal noch wird es das tun. Holger Karsten Schmidt und Markus Imboden planen schon ihren sechsten gemeinsamen Film: "Wespennest 2: Finn Zehender – Tod einer Brieftaube". Adenauer, hätte er Englisch gekonnt, hätte es auch so sagen können: Never change a winnig team.
2018-Februar: prisma
die Redaktion:
In der norddeutschen Kleinstadt Aschberg kennt jeder jeden. Als der langjährige Polizeihauptmeister Gerhard Mühlfellner und seine neue Kollegin, die frisch gebackene Polizistin Anna Wippermann, den Landwirt Herbert Schuch erhängt in seiner Scheune finden, steht für alle fest, dass es sich um Selbstmord handeln muss. Nur Becky, die Geliebte des Bauern, ist anderer Meinung. Sie engagiert den Ex-Polizisten und Privatdetektiv Finn Zehender, um ihren Verdacht bestätigt zu bekommen. Zehender, der mit nicht immer ganz legalen Mitteln ermittelt, legt mit seinem messerscharfen Verstand bald einen Sumpf aus korrupter Bürokratie und nachbarschaftlicher Bösartigkeit in Aschberg offen. Für ihn scheint ein Selbstmord ausgeschlossen und die Zahl der Verdächtigen ist nicht gering ...Weg aus der Großstadt - rein in die Provinz. Provinzkrimis sind angesagt, man denke nur an Produktionen wie "Der Tote im Spreewald", "Der Bulle und das Landei - Tödliches Heimweh" und "Erntedank. Ein Allgäukrimi". Markus Imboden, der das Genre schon mit seinen Regiearbeiten "Mörder auf Amrum", "Der Tote in der Mauer" oder "Ein Dorf sucht seinen Mörder" gekonnt auslotete, arbeitete hier erneut mit Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt zusammen. Wieder taucht er in die norddeutsche Provinz ein und setzt den Krimi mit vielen ironischen Zwischentönen und einem gut aufgelegt agierenden Darstellerensemble in Szene. 2011 und 2012 entstanden mit "Tod einer Brieftaube" und "Mörderische Jagd" zwei weitere, ebenso gelungene Zehender-Krimis.
2011-02-22: Focus
Josef Seitz:
Heiß geht’s zu im angeblich kühlen Norden. Und dank des Hauptdarstellers Hinnerk Schönemann macht das Zuschauen tatsächlich Spaß.Die Mörderin engagiert den Privatdetektiv, um nachzuweisen, dass jener von der Polizei bereitwillig akzeptierte Selbstmord doch Mord war, weil sonst die Lebensversicherung des Mordopfers nicht zahlt, mit der sich die Mörderin ihr neues, besseres Leben finanzieren will. So ließe sich in einem einzigen Satz (mit fünf Mal dem Wort Mord) die ganze Geschichte des ZDF-Fernsehfilms „Mörderisches Wespennetz“ erzählen. Wäre da nicht der Hauptdarsteller.
Zum Start gleich 1,34 Promille
Hinnerk Schönemann, der spröde Blonde aus dem Grimme-Preis gekrönten „Mörder auf Amrum“, fährt diesmal als Privatdetektiv Zehender aufs Land. Schon die erste Begegnung mit der Ortspolizei der norddeutschen Kleinstadt Aschberg endet, sagen wir, nordisch trocken. Der Herr Detektiv hat nachts zuvor Scheidung gefeiert, der Alcomat zeigt 1,34 Promille. Es ist der Beginn einer wunderbaren Feindschaft.
Wo die Polizei noch selber wischt
Der Polizeichef (Thomas Thieme) ist ein echtes Herzchen. Er schikaniert seine blutjunge Mit-Dorfpolizistin, die gerade erst ihren achten Berufstag erreicht hat, ihm den Kaffee nicht nur hinterherträgt, sondern ihn auch nach Kräften mundgerecht zu kühlen hat. Und die noch mal schnell die Polizeistation feucht durchwischen muss, bevor sie losgeschickt wird, um Parksünder mit Strafzetteln zu jagen. Dabei ist der Polizeichef noch der sympathischere vom Brüdergespann Mühlfellner. Denn der Polizist zieht nur selten die Waffe, während der Bruder halbautomatisch dem Privatdetektiv allzu gerne hinterher ballert. Und das Haus in Brand setzt, in dem sich der Schnüffler gerade auf die Fährte setzt. Spätestens da ist klar, dass Detektiv Zehender dabei ist, sich an einem heißen Fall nicht nur die Finger zu verbrennen.
Sex zur Spurensuche
Dabei hat seine Auftraggeberin, die Liebschaft des vermeintlichen Suizid-Opfers, nur zweimal 250 Euro für den Detektiv, das reicht gerade mal für die ersten beiden Ermittlungstage. Und sie ermahnt Zehender noch, sich bei der Spurensuche in der Kleinstadt besser nicht als „entfernter Verwandter“ des Toten auszugeben – „weil die Schwester gerade eine Abtreibung hatte“. Es ist nicht der einzige böse Wortwitz, der haarscharf am Kalauer vorbeischrammt. Die erste Verlängerung des Detektiv-Auftrags auf Tag drei erarbeitet sich die blonde Auftraggeberin mit Sex. Die zweite ergibt sich, weil die Frau zusammengeschlagen wird – oder, wie sie sagt, 14-mal gegen den Türrahmen gestolpert ist. Da greift dann die Ehre des privaten Ermittlers.
Showdown mit Memory
Er deckt auf: einen Sumpf an Korruption. Und am Ende deckt er auf: die entscheidende Karte im alles entscheidenden Karten-Duell, wo er die oberkorrupte Bürgermeisterin kühl lächelnd ihrem Ruin überlässt. Showdown mit Memory-Karten. Und zum Finale noch ein kleiner Dialog zwischen Ermittler und ermittelter Korruptions-Bürgermeisterin. „Ich bin Eldetiker“, erklärt der Detektiv den Sieg mit seinem fotografischen Gedächtnis. „Und da dürfen Sie gar nichts Süßes?“, fragt die nicht nur beim Karten-Aufdeck-Spiel unterlegene Bürgermeisterin. Klingt komisch. Und ist tatsächlich komisch in dieser Krimi-Komödie, die auch schiefgehen hätte können. Wäre da nicht Hauptdarsteller Hinnerk Schönemann gewesen.
2018-02-20: Hannoversche Allgemeine
von Jan Freitag:
Wer Hinnerk Schönemann im Supermarkt trifft, dürfte achtlos weitergehen: zu unscheinbar sieht der Schauspieler aus, fast gewöhnlich. Es kann also nicht dieses aschfahle, schmallippige, straßenköterblonde Äußere sein, das ihn zum neuen Fernsehfilm-Gesicht macht. Es ist seine Persönlichkeit.In „Mörderisches Wespennest“ ist sie nun wieder zu bestaunen. Als Privatdetektiv soll er einen vermeintlichen Selbstmord im ländlichen Niedersachsen aufklären und gerät dabei in ein absurdes Geflecht aus dubioser Vetterwirtschaft und dörflicher Ignoranz, das zusehends ins Groteske abgleitet, ohne je albern zu werden. Und mittendrin dieser Finn Zehender (Schönemann) – bauernschlau, tapfer, liebenswert, glanzlos, robust, ein Antiheld, Schönemanns Paraderolle. Keiner versteht es zurzeit besser, Normalität authentisch in glaubwürdige Dramen zu wandeln als der 36-Jährige, der selbst vom Land kommt.
Und am besten gelingt ihm das in Beamtenbeige, als Streifenhörnchen. Streifenhörnchen? Schönemann lacht wie nur einer lachen kann, dessen Arglosigkeit ehrlich ist. „Mit dem Begriff kann ich leben.“ So oft wie er ihn spielt, den Schutzmann, der von großen Kommissaren gegängelt wird, überfordert wirkt und sich doch durchwurschtelt. In Sven Taddickens Drama „Emmas Glück“ gibt er ihn so unbeholfen energisch wie in Markus Imbodens Krimi „Mörderische Erpressung“ oder dessen Nordseewestern „Mörder auf Amrum“, wo er vor einem Jahr schießwütige Gangster durchs Watt jagte oder doch mehr sie ihn? Dass Schönemann diesmal nur ein ehemaliger Polizist ist, ändert nichts daran: Uniformen passen ihm, als trüge er sie auch alltags.
„Deshalb muss ich aufpassen, wie viele ich noch anziehe“, sagt er in Jeans und Turnschuhen im Eck eines Hamburger Theatercafés, wo er sich zwischen vermeintlich Bessergebildeten offenbar so unwohl fühlt wie seine Kleinstadtbullen im Verhör mit vermeintlich Bessergestellten. Der Mecklenburger meidet Menschenmengen. Smalltalk, Partys, selbst das kollegiale Bier nach Drehschluss – „alles nichts für mich“, sagt er. „Ich bin lieber allein“.
Diese Scheu bildet einen spannenden Kontrast zu seinem Job. Und er verdeutlicht ihn mit einem Alleinstellungsmerkmal: seiner Sprache. Das Ungeschliffene unscheinbarer Leute in unbedeutenden Positionen ist sein Markenzeichen. Schönemann verwendet es als Stilmittel, das räumt er ein; bloß gespielt kann es dennoch nicht sein. Zu real – ob im Gespräch oder auf dem Bildschirm – wirkt seine Unbeholfenheit. „Herr Mühlfelder“, sagt sein Detektiv im Dorfkrug zur Runde Honoratioren, die den Ort unter sich aufgeteilt haben, „hat mich eingeladen“. Hüstel. „Ich finde.“ Pause. „Das sollte ihn.“ Lächeln. „Teuer zu stehen kommen.“ Und bestellt Schampus. Solche Sätze schreibt kein Autor, sie müssen wachsen.
„Ich übe höchstens 70 Prozent des Textes“. Der Rest ist Improvisation, wie an der Universität der Künste in Berlin gelernt. Natürlich kann der bühnenerprobte Schauspieler auch werkgetreu rezitieren. „Aber Auswendigpauken fällt mir schwer.“ Er grinst und seine blauen Augen verengen sich zu Schlitzen. Das tut er auch oft im Film, unvermittelt, als Anker ins Selbstbewusstsein. Und wie in vielen seiner Rollen stülpt sich anschließend seine Ober- über die Unterlippe, eine eigentümliche Geste kontrollierten Bebens.
Denn Hinnerk Schönemann, ist unter der Hülle seiner Seelenruhe ein Dampfkessel, in dem es ständig brodelt. Wie der launische Mann von Christian Petzolds „Yella“, als liebenswerter Choleriker in Ralf Husmanns Polizeiserie „Dr. Psycho“ oder nun im „Wespennest“. Dann zittert seine Stimme aus Verlegenheit, Übereifer, Angst vor der eigenen Courage, dann kiekst er auf, lacht nervös, verschluckt die Satzenden. „Ich bin ein hyperaktiver Typ“, gesteht er. Aber ein ausgeglichener Zappelphilipp, zurückhaltend und aufbrausend, einst Kampfsportler, Schildkrötenzüchter heute – geht das? „Das geht! Ich stehe ja nie vor der Explosion, ich bin nur energiegeladen“. Der Frühaufsteher bremse sich schon selber.
Am besten mit Arbeit, ob am Set oder auf seinem Hof im Heimatdorf, wo er als ältestes Kind zweier Ärzte aufgewachsen ist. „Ich genieße körperliche Arbeit“, sagt er. Ein Naturbursche, einfach, anspruchslos, uneitel. Bodenständig? „Ungeheuer“, bekennt er, „das liegt an meiner Herkunft“. Als einer von 70 Einwohnern, daheim im Dorf bei Rostock, „da kann man sich keine Extrawürste leisten“. Auch deshalb spielt er inmitten all der Hauptfiguren, die ihm zusehends angeboten werden, noch immer gern Nebenrollen. „Im zweiten Glied“, sagt er, „kann man sich mehr austoben“. Wie damals, als Witzerzähler im oscarprämierten „Leben der anderen“, ein winziger Auftritt nur, „aber der Wahnsinn“. Sozusagen ein konzentrierter Schönemann: Tiefgründig, und dennoch authentisch, und wundervoll normal.
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2011-Februar: tittelbach.tv
von Rainer Tittelbach:
Der Dorfaußenseiter hängt in seiner Scheune. Selbstmord, sagen die, die was zu sagen haben. Die Freundin des Toten glaubt es nicht und auch Privatdetektiv Finn Zehenders Ermittlungen ergeben einige Unregelmäßigkeiten im kleinstädtischen Getriebe. Das „Mord auf Amrum“-Trio hat wieder zugeschlagen. Schmidts Lakonie, Imbodens kluge, unaufgeregte Regie und Hinnerk Schönemann, überdreht im Kopf und doch dramaturgischer Ruhepol, halten den Spaßfaktor reichlich hoch. Die deutsche Provinz in Eiche rustikal – der blanke Horror!Dieser Artikel stammt von http://www.tittelbach.tv/programm/fernsehfilm/artikel-1296.html